Das ist ein Text, den ich schon vor längerer Zeit in einem ganz anderen Kontext geschrieben hatte – nach einem dieser gesellschaftlichen “Pflicht-Termine” für Mitglieder des Gemeinderats. Aber ich finde, er passt ganz gut zur Oberbürgermeisterwahl und zu den Klagen über die niedrige Wahlbeteiligung…
Manchmal laufen politische Termine einfach rund und wie geplant – man bekommt Impulse für die politische Arbeit, gibt Impulse weiter, bekommt in zahlreichen Gesprächen zu spüren, dass man als Politiker ernst genommen wird und dass die Gesprächspartner ehrlich daran interessiert sind, sich auszutauschen. Man trifft Menschen – andere Politiker, Menschen aus dem Ehrenamt, aus den Verbänden, aus der Wirtschaft – die mit Herzblut für ihre Sache einstehen und sich für unsere Gesellschaft einbringen.
Die gleiche Veranstaltung in der Politiker-Denke? Man sieht und wird gesehen, man schüttelt Hände und “networked”. Man hofft, bei der Begrüßung vom Rednerpult aus genannt zu werden und freut sich über jeden, der bei Nennung des Namens in die richtige Richtung blickt – aha, die kennen mich alle. Hinterher hofft man, keine zu schüttelnde Hand übersehen zu haben, damit man nicht Abgehobenheit oder Arroganz vorgeworfen bekommt. Alles Show, alles oberflächlich, alles eigentlich überflüssig.
Andererseits: Man will etwas für seine Stadt oder sein Land erreichen – dazu muss man bekannt sein, das gehört zum Spiel dazu. Also fügt man sich dem Schicksal. Und mal ehrlich, viele Gesprächspartner sind ja auch wirklich am Gespräch interessiert und nicht an der Show. Aber als wäre es nicht schon genug, dass man trotz allem immer lächelt, die Launen und die Müdigkeit unterdrücken und die Politiker-Fassade zeigen muss, gibt es dann noch allzu oft ein negatives Grundrauschen, nicht nur beim politischen Gegner, oft genug auch in der eigenen Partei, vor allem aber bevorzugt in einigen wenigen besonders aggressiven Bürgerinitiativen und Interessengruppen, die sich für repräsentativer halten, als sie es sind.
Das negative Grundrauschen aus Parteipolitik und dauerndem Machtkampf, “Politikverdrossenheit” und neuerdings “Wutbürgertum” ist immer da, mal mehr und mal weniger, und es lässt einen bisweilen hinterfragen, ob es das eigentlich alles wert ist:
Muss man große Teile seines Privatlebens in ein Ehrenamt stecken, bei dem die Gestaltungspielräume zwar bekanntermaßen eingeschränkt sind, man aber hinterher trotzdem immer nur vorgeworfen bekommt, was man alles nicht durchgesetzt hat?
Muss man immer wieder erklären, dass es in der Demokratie nicht ausreicht, sich selbst für etwas einzusetzen? Dass man in der Demokratie Mehrheiten braucht? Dass nicht jeder geäußerte Wunsch durchsetzbar ist? Dass es tatsächlich noch politisch handelnde Menschen gibt, für die nicht Partikularinteressen sondern die ganze Stadt oder die ganze Gesellschaft im Mittelpunkt ihrer Entscheidungen stehen?
Muss man auf große Teile seiner Zeit mit der Familie verzichten nur um dann vorgeworfen zu bekommen, man hätte hier oder dort auch noch auftauchen müssen? Muss man sich in jeder “freien” Minute und bis tief in die Nacht mit Stapeln an Vorlagen beschäftigen um dann zu hören, man könnte ruhig noch etwas mehr tun? Muss man noch präsenter sein, weil die eigentlich Arbeit am Schreibtisch nicht honoriert wird? Was zählt denn eigentlich? Sacharbeit oder Präsenz bei Festen?
Und muss man es eigentlich einfach ertragen, dass Gerüchte und Falschbehauptungen verbreitet werden, dass in sozialen Netzwerken oder hinter vorgehaltener Hand oder auch mal ganz öffentlich auf unterstem Niveau gehetzt wird, weil andere die inhaltliche und politische Auseinandersetzung scheuen?
Manchmal laufen politische Termine einfach rund und wie geplant – und führen trotzdem dazu, dass man sich auf seine Prioritäten besinnt und den Politikbetrieb als das erkennt, was er ist: eine Schlangengrube voller Selbstdarsteller, in der engagierte Bürger und Politiker mit Herzblut manchmal drohen, unterzugehen.
Bei diesem Zirkus ist es kein Wunder, dass so viele Menschen auf ihr aktives Wahlrecht verzichten und die Wahlbeteiligung bei allen Wahlen sinkt – es ist eher ein Wunder, dass sich immer wieder qualifizierte Menschen finden, die sich engagieren, und die trotz aller Widrigkeiten ihr passives Wahlrecht nutzen und sich zur Wahl stellen.
1 thought on “Hauptsache Händeschütteln? Entscheidend ist der Blick hinter die Fassade”
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