Lärmschutz ist Gesundheitsschutz. Das ist eigentlich unbestritten. Die gesundheitlichen Auswirkungen von Lärm auf den menschlichen Körper sind hinreichend erforscht und es gibt immer neue Erkenntnisse über Schädigungen – auch psychischer Natur. Es gibt nicht ohne Grund Grenzwerte für Lärm, die tendenziell noch weiter gesenkt werden.
Strittig ist hingegen immer wieder, wieviel eine Investition in den Lärmschutz, also in die Gesundheit von Menschen kosten darf. Und wer diese Kosten tragen soll.
Aktuelles Beispiel: die Diskussion um den europäischen Eisenbahn-Korridor Rotterdam-Genua und den damit verbundenen Güterverkehr auf der Riedbahn mitten durch Mannheim. Ich müsste sehr weit ausholen, um die aktuell von der Bahn geplante Trassenführung im Detail zu erläutern. Das ist an dieser Stelle aber gar nicht nötig, weil es mir um etwas ganz anderes, grundsätzliches geht.
Die Kurzfassung als Hintergrund:
Eine Bahnstrecke für den Güterverkehr kann auch vom Personenverkehr befahren werden. Diese “Mischstrecken” (tagsüber Personenverkehr, nachts Güterverkehr) bringen eine gute Auslastung rund um die Uhr und sind damit zunächst mal wirtschaftlich. Das hatten die Mannheimer Verantwortlichen im Hinterkopf, als die Bahn vor vielen Jahren über die Trassenführung für den wirtschaftlich sehr wichtigen europäischen Korridor Rotterdam-Genua verhandelte.
Eine Bypass-Lösung für den Güterverkehr irgendwo im Bereich zwischen Mannheim und Heidelberg hätte bedeutet, dass potentiell auch ICEs an Mannheim vorbeifahren – und damit am bisher zweitgrößten Bahnknoten in Baden-Württemberg. Als der damalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn dann in diesem Kontext noch davon sprach, der ICE könne eben nicht an jeder Milchkanne halten, pochte Mannheim – aus gutem Grund – auf einer Fußnote im Bundesverkehrswegeplan, die eine Führung der neuen Trasse durch Mannheim festschrieb, um so eine potentielle Umfahrung des Hauptbahnhofs durch ICEs zu verhindern.
Aktuell sieht die Planung also eine Trasse entlang der Riedbahn durch Mannheim vor. Und seit letztem Jahr rückt entlang dieser ja bereits bestehenden Trasse der Lärmschutz in den Fokus der Debatte. Die Bürgerinnen und Bürger befürchten zurecht eine massive Zunahme der Lärmbelastung insbesondere in den Nachtstunden. Und sie fordern den maximal möglichen Lärmschutz.
Diese Forderung ist berechtigt.
Hier geht es um die Gesundheit tausender Menschen. Argumente, es handle sich ja um eine Bestandstrasse, mögen juristisch ausreichen, um die Lärmschutzanforderungen so gering und damit für die Bahn so günstig wie möglich zu gestalten, aber sie greifen eigentlich nicht. Die meisten Anwohner wussten beim Einzug – teilweise vor vielen Jahrzehnten – eben nicht, wie stark der Güterverkehr und damit der Lärm in den nächsten Jahren zunehmen soll.
Es kann auch nicht damit getan sein, einfach die Lärmschutzwände immer weiter hochzuziehen. Wir reden in Mannheim im Zusammenhang mit der Konversion von der Gestaltung eines Grünzuges Nordost, auch um die Frischluftzufuhr zur Innenstadt zu verbessern. Wenn dann die Frischluft aber an Lärmschutzwänden halt macht, die höher sind als alle Gebäude, werden die Planungen zur Farce.
Den Bahnlärm in die umliegenden Gemeinden zu verlagern, ist auch keine Option, selbst dann nicht wenn die Anbindung an den Mannheimer Hauptbahnhof und den Rangierbahnhof gewährleistet wäre. Die Region ist zu dicht besiedelt, als dass man eine Trasse fände, die lärmschutztechnisch verträglich wäre.
Die Bürgerinnen und Bürger, die sich inzwischen in ganz Mannheim mit dem Thema beschäftigen, fordern daher die Prüfung einer Tunnellösung, um den Lärm weitestgehend unter die Erde zu bringen.
Bedenken gibt es natürlich auch bei dieser Option viele – sie sind fachlicher Natur und berechtigt. Der Neckar ist eine natürliche Barriere, die überwunden werden müsste. Auch ein Tunnel beginnt und endet irgendwo und bedeutet bauliche Eingriffe und Lärm an beiden Enden. Zudem müsste die Anbindung des Hauptbahnhofs und des Rangierbahnhofs gesichert sein – alles Fragen, die bei einer Trassenprüfung gestellt werden müssen. Und es gibt auch hier nicht die eine ideale Lösung, die alle zufrieden stellt – das muss allen Beteiligten klar sein.
Momentan droht die Debatte aber an einer ganz anderen Frage zu scheitern: an den von vornherein als prohibitiv hoch prognostizierten Kosten einer Tunnellösung.
Dass die Deutsche Bahn sich an gesetzlichen Grenzwerten und Vorschriften orientiert und in ihrer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung keine freiwilligen Mehrleistungen einplant, ist selbstverständlich und an sich nicht verwerflich. Sie muss verantwortungsvoll mit den ihr zur Verfügung gestellten Steuergeldern umgehen, denn es handelt sich um das Geld der Bürgerinnen und Bürger.
Aber wenn Lärmschutz Gesundheitsschutz ist, dann muss die Frage erlaubt sein, ob mögliche Gesundheitsschädigungen in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Bahntrassen, Autobahnen oder Bundesstraßen überhaupt ausreichend eingepreist werden oder nicht. Denn auch die Kosten für ärztliche Behandlungen oder für Arbeitsausfall trägt am Ende die gesamte Volkswirtschaft und damit der Steuer- und Beitragszahler.
Ob künftig allgemein durch eine stärkere Berücksichtigung von Lärmschutz in der Wirtschaftlichkeitsberechnung von Infrastrukturmaßnahmen oder durch eine politische Einzelfallentscheidung in Bezug auf eine verträgliche Lösung für Mannheim – die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet in jedem Fall:
Was ist eigentlich unsere Gesundheit wert?
Niemand kann heute versprechen, dass ein Tunnel kommen wird. Ich auch nicht. Aber ich werde mich weiterhin dafür einsetzen und die Prüfung einer solchen Option mit Nachdruck fordern, anstatt wenig ambitioniert auf hohe Lärmschutzwände und moderne, leisere Güterzüge zu verweisen.