Mit Blick auf den unermüdlichen Einsatz unzähliger Menschen bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und vor dem Hintergrund der Diskussion um Angela Merkels “Wir schaffen das” habe ich einen Text geschrieben, den das Rheinneckarblog.de dankenswerterweise als „Montagsgedanken“ veröffentlicht hat.
Ich dokumentiere den Text auch an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung der Redaktion:
Es gibt im englischsprachigen Raum eine Geschichte, die mir aus meiner Kindheit in den USA in Erinnerung geblieben ist und an die ich in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder denken musste: “The Little Engine That Could” handelt von einer kleinen Dampflok, die einen Güterzug über einen Hügel zieht, nachdem andere, größere Lokomotiven entweder mit Blick auf die Steigung des Hügels oder mit Blick auf das Gewicht des Güterzugs resignieren und erst gar nicht versuchen, zu helfen. Die kleine Lokomotive hingegen spornt sich selbst mit dem Satz “I think I can” (Ich glaub’ ich schaff’s) an, den sie im Rhythmus ihrer Räder wiederholt, während sie den großen Zug immer langsamer und mit letzter Kraft – aber erfolgreich – auf den Gipfel zieht, bis sie dann vom Gewicht des Zuges beschleunigt auf der anderen Seite wieder hinunter fährt.
Es ist eine wunderbare Geschichte für Kinder, wenn sie an ihrem Selbstvertrauen arbeiten müssen. Oder für kleine Perfektionisten, die gerne alles planen und dann perfekt ausführen würden, und deshalb manche Aufgaben erst gar nicht in Angriff nehmen. Sie macht Mut, sich auch große Ziele vorzunehmen, die auf den ersten Blick unerreichbar scheinen.
Als Kind habe ich diese Geschichte geliebt. Und ich habe geglaubt, dass ich alles erreichen kann, was ich mir vornehme. Inzwischen habe ich natürlich gelernt, dass es manchmal unüberwindbare Hürden gibt. Verzweifelt bin ich oft, gescheitert auch – persönlich und politisch. Aber ich bin trotzdem nach wie vor der Überzeugung, dass man mit Zuversicht mehr erreicht als mit Resignation oder Bedenkenträgerei.
Deshalb ärgere ich mich in den vergangenen Wochen auch über so viele Äußerungen von Politikern, insbesondere aus meiner eigenen Partei und ihrer bayerischen Schwesterpartei, im Zusammenhang mit dem Satz “Wir schaffen das!” von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Nörgler und skrupellose Brandstifter
Ohne Frage: man muss die Herausforderungen ansprechen, die insbesondere auf kommunaler Ebene bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zu meistern sind. Selbstverständlich gibt es insbesondere aufgrund des rasanten Anstiegs der Flüchtlingszahlen an manchen Stellen massive Engpässe – in den Unterbringungskapazitäten, bei der Gesundheitsversorgung, bei der Registrierung der Flüchtlinge und der Bearbeitung der Asylanträge, bei so banalen Dingen wie Handtüchern, die nicht mehr in ausreichender Zahl lieferbar sind, oder auf allen Ebenen beim Personal, das gar nicht schnell genug eingestellt werden kann oder noch ausgebildet werden muss, bis es zum Einsatz kommen kann.
Aber man kann diese Probleme ansprechen und gemeinsam auf allen Ebenen und im offenen und ehrlichen Diskurs Lösungen suchen – oder man kann sich wochenlang daran aufhängen, was die Kanzlerin wohl mit diesem Satz gemeint haben könnte und ob sie nicht möglicherweise jeden Blick für die Realität verloren hat.
Die einen versuchen ohne jeglichen Skrupel, aus dem Elend der Menschen und aus der Krise politischen Profit zu schlagen, indem sie die Ängste der Bevölkerung schüren. Das ist erbärmlich und verachtenswert. Andere – ob aus der politischen Opposition oder aus den eigenen Reihen – sehen ihre Chance gekommen, die bisher in der Beliebtheitsskala über allem schwebende Kanzlerin nun endlich zu demontieren. Wenn sie andere Lösungsansätze haben, sollen sie diese in den politischen Wettbewerb einbringen – bisher kommt da allerdings nicht viel Neues. Nutzen tut auch das momentan nur den Brandstiftern von rechts außen, auch wenn das gar nicht das Ziel ist.
Und während die öffentliche Debatte tobt, gibt es wieder andere. Die packen an. Beamte und Angestellte in den Behörden und freiwillige Helfer, vom BaMF bis zum Gesundheitsamt, zum Jugendamt, zum Sozialamt vor Ort, Polizei und Feuerwehren bei der Sicherheit und beim Brandschutz, Hilfsdienste wie THW, DRK, Johannister, Malteser oder ASB und andere, die großen Sozialträger wie Caritas und Diakonie flächendeckend, lokale Träger bei sich vor Ort, und zahlreichen Vereine und Initiativen.
In Mannheim kann ich das Zusammenspiel all dieser Akteure direkt beobachten, kann es auf politischer Ebene begleiten und mich vor allem organisatorisch an einigen Stellen selbst einbringen. Und was ich beobachte ist nicht etwa Resignation, obwohl gerade diese Menschen die Probleme täglich sehen und unmittelbar erleben. Ich beobachte einen sachlichen und fachlichen Blick auf die Probleme und ich höre zwar zahlreiche, ganz klar berechtigte Klagen, aber immer auch Lösungsansätze.
Natürlich stellen auch die Aktiven vor Ort sich jeden Tag die Frage, wie es weitergehen soll. Der Unterschied ist nur: Sie fragen nicht so häufig, ob wir das schaffen, sondern wie wir das schaffen. Und sie beantworten die Frage für sich selbst jeden Tag aufs neue mit “Wir schaffen das!”
Während die einen nur schimpfen, packen die anderen – momentan vor allem an den Standorten der Erstaufnahmestellen – unermüdlich an und sorgen dafür, dass es irgendwie weitergeht und dass die Asylsuchenden so gut wie möglich versorgt werden. Momentan geht es um die Verwaltung des Mangels. Um Logistik. Um ein Dach über dem Kopf und um Essen. Und viele Aktive sind entsetzt über die Art und Weise, wie Menschen “abgefertigt” werden müssen. Sie machen sich keine Illusionen und beschönigen nichts. Aber sie suchen nach Lösungen und verschwenden ihre Energie nicht mit Klagen. Und sie sind darauf angewiesen, dass endlich auf Landes- und Bundesebene Strukturen geschaffen werden, um die Registrierung der Asylsuchenden und die Asylverfahren zu beschleunigen.
Dann können sich die Kommunen und die anderen Akteure vor Ort darauf konzentrieren, diejenigen Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren, die längerfristig hierbleiben werden
Das ist nämlich die nächste Herausforderung, die uns bevorsteht. Die Integration wird in den Kommunen der eigentliche Kraftakt werden, und sie kann tatsächlich nur vor Ort in den Städten und Gemeinden gelingen. Mit etwas Zuversicht, viel Arbeit und zahlreichen Rückschlägen. Wir werden verzweifeln. Wir werden an der einen oder anderen Stelle scheitern. Und keiner weiß, wie lange es dauert oder wie gut die Integration am Ende gelingt. Aber die Kommunen werden sich dieser Herausforderung stellen, weil “Wir schaffen das nicht” einfach keine Option ist.
Genau das hat Angela Merkel aus meiner Sicht gemeint – obwohl sie sehr genau weiß, welche Not an vielen Orten in Deutschland aktuell herrscht und dass uns der Kraftakt natürlich etwas kosten wird. Aber es ist ihre Aufgabe, “das zu schaffen”, ohne Rücksicht auf ihren eigenen Machterhalt, genau wie es die Aufgabe jedes einzelnen gewählten Politikers wäre, an Lösungen zu arbeiten.
PS: Erinnern Sie sich eigentlich noch an Obama’s “Yes, we can!” und wie er für seine Botschaft der Zuversicht auch in Deutschland gefeiert wurde?