Ein Jahr sind die Demonstration und die Kundgebung “Mannheim sagt Ja” jetzt her. Das war zum damaligen Zeitpunkt die größte Veranstaltung ihrer Art und hat zurecht bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt.
Seither hat sich viel getan. Ich möchte meinen eigenen Text vom Januar 2015 zum Anlass nehmen, um die Frage zu stellen, wozu wir damals Ja gesagt haben und was heute davon übrig geblieben ist.
Am 17. Januar haben sich in Mannheim ca. 12.000 Menschen für Vielfalt statt Hass und Angst und für eine offene Stadt ausgesprochen. Anlass für den Aufruf zu Demonstration und Kundgebung war für mich und die anderen Initiatoren von „Mannheim sagt JA“ die ablehnende Haltung einiger Mitbürger zur Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Asylbewerber in Mannheim. Uns war schnell klar, dass diese Haltung nicht zu unserer bunten und toleranten Stadt passt und wir haben uns entschieden, ein Zeichen für eine Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, für Vielfalt und für Toleranz zu setzen. Durch den brutalen und feigen Terroranschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt in Paris und die daraus erwachsende Angst vor terroristischen Attacken auf unsere Freiheit bekam die Veranstaltung noch zusätzlich Rückenwind, sodass wir deutlich mehr Zuspruch erfahren haben, als wir uns jemals erträumt hätten.
Selbstverständlich ist der Umgang mit der großen Zahl an Flüchtlingen nie so einfach wie unser plakatives „JA“. Selbstverständlich waren unter den Demonstranten viele Haltungen zur Flüchtlingsaufnahme und viele Meinungen zu den besten Lösungen vertreten, die im politischen Alltag konträr zu einander stehen. Aber uns alle eint, dass für uns zunächst die Menschen im Vordergrund stehen, denen wir ein würdiges Ankommen und eine sichere Unterkunft bieten wollen. Und uns eint, dass wir uns in Mannheim gegen alle stellen, die mit diffusen Ängsten Stimmung gegen Menschen machen, die aus Angst um Leib und Leben zu uns gekommen sind.
Das habe ich vor einem Jahr im Rückblick auf den 17. Januar 2015 geschrieben – und der Text ist nach wie vor aktuell.
Diejenigen, aus deren Aktivenkreis und Umfeld damals die meisten mir bekannten Demonstranten kamen, sind heute noch dabei, zumeist an vorderster Front: Die Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen, unterstützt durch Feuerwehr, freiwillige Feuerwehr und Polizei, sowie durch zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes, des Sozialamtes und des Gesundheitsamtes der Stadt Mannheim, arbeiten in den Erstaufnahmestellen in Mannheim seit Monaten an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.
Und der Rest? Wären sie heute wieder bei einer Demonstration dabei?
Gegen unbegründeten Rassismus und Pegida vermutlich schon. Gegen Daesh/den IS vielleicht auch – aber in diesem Ausmaß? Es wurden nach Charlie Hebdo weitere Anschläge verübt – erneut in Paris, zuletzt in Istanbul – alles Anschläge auf unsere Freiheit und auf unser offenes Weltbild.
Die Ablehnung und die Ängste in der Bevölkerung haben ebenfalls zugenommen, oder werden deutlicher artikuliert. Der Hass ist genauso unbegründet wie damals, basiert auf reiner Fremdenfeindlichkeit. Ein Teil der Ängste ist aber vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und Enttäuschungen neu entstanden, angesichts einiger von Flüchtlingen oder anderen Migranten verübter oder vermuteter Straftaten (Ich hatte gehofft, wir wären in Mannheim schon einen Schritt weiter, Und täglich grüßt die Fremdenfeindlichkeit) oder auch einfach aufgrund der im kommunalen Vergleich überproportional hohen Zahl derer, die ghettoisiert an wenigen Punkten in unserer Stadt leben.
Die Situation, aus der heraus wir damals gehandelt haben, hat sich deutlich verschärft. Wir sprechen in Mannheim nicht mehr über eine Landeserstaufnahmestelle mit weniger als 1000 Plätzen – wir haben heute konstant deutlich über 12.000 Flüchtlinge in der Stadt und damit mehr, als damals Bürgerinnen und Bürger für “Mannheim sagt Ja” auf die Straße gegangen sind.
Es gibt in Mannheim wie auch in weiten Teilen Deutschlands aktuell keinen Grund zur Panik, aber es gibt begründeten Anlass zur Sorge – um die Integration der Flüchtlinge auf der einen und um den Umgang mit Fremdenfeindlichkeit auf der anderen Seite. Ein simples “Mannheim sagt Ja” funktioniert heute nicht mehr – aber mit der Differenziertheit, die in der aktuellen Situation notwendig wäre, mobilisiert man keine 12.000 Menschen quer durch alle Bevölkerungsschichten. Schon gar nicht, wenn die politische Lage sich so zuspitzt wie in diesen Tagen:
Während einige Politiker ganz demonstrativ ihr “Ja” wie eine Monstranz vor sich hertragen, sagen andere immer lauter und vor allem gnadenloser “Nein”. Die einen wollen am liebsten leugnen, wie katastrophal die Zustände in einigen Lagern tatsächlich sind, und relativieren die kulturellen Konfliktpotentiale – die anderen verallgemeinern jede Straftat und fordern mit Blick auf die Geschehnisse der Silvesternacht in Köln und anderen Städten für Flüchtlinge de facto eine besondere Härte des Gesetzes – was einer Abkehr vom Rechtsstaat gleichkäme.
Vor einem Jahr sind Verantwortungs- und Leistungsträger quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche und über alle (demokratischen) Parteigrenzen hinweg gemeinsam aufgestanden und haben sich aktiv gegen Fremdenfeinde gestellt. Das vermisse ich heute. Plötzlich hört man bis in DIE LINKE hinein Aussagen, die noch vor kurzem bei der AfD vermutet worden wären – es ist ein regelrechtes verbales Wettrüsten im Kampf um die Zustimmung aus Teilen der Bürgerschaft. Aus Angst vor dem eigenen Machtverlust? Dabei müssten wir uns eigentlich darauf konzentrieren, Lösungen zu suchen, um “das zu schaffen”. Wer als Politiker nur auf die nächste Wahl schaut oder gar in der aktuellen Situation die langersehnte Möglichkeit wittert, die übermächtige Kanzlerin loszuwerden, handelt verantwortungslos. Und ja, das richtet sich insbesondere an einige Politiker der Union.
Aber genauso verantwortungslos handelt, wer Probleme leugnet. Um Lösungen zu finden, müssen wir genau hinschauen. Und wir müssen ehrlich mit uns und mit den Bürgern sein.
Wir dürfen Flüchtlinge nicht pauschal verurteilen, aber wir dürfen ihren Lebensweg auch nicht gänzlich ignorieren. Wir haben es in den allermeisten Fällen mit (übrigens mündigen…) Erwachsenen zu tun, die aus einer anderen Kultur kommen, entbehrungsreiche und selten gewaltfreie Wochen, Monate oder Jahre hinter sich haben, und in einer anderen Welt ankommen – in einem Ghetto mit Menschen, mit denen sie sich daheim bekriegen würden. Und in einer Gesellschaft mit teilweise vollkommen fremden Werten. Glauben wir ernsthaft, dass das überwiegend konfliktfrei zugeht? Und glauben wir, dass wir irgendjemandem einen Gefallen tun, wenn wir die entstehenden Konflikte kleinreden? Damit entfernen wir uns nur noch weiter von Teilen der Bevölkerung, die uns vorwerfen, wir wollten sie für dumm verkaufen. Und wir tun auch den Flüchtlingen keinen Gefallen, wenn wir sie in den Lagern sich selbst überlassen.
Zu unseren ursprünglichen Zielen, ein würdiges Ankommen und für die Dauer des Aufenthalts in Mannheim eine sichere Unterkunft zu bieten, sage ich nach wie vor Ja. Aber das ist aktuell an vielen Stellen nur ein frommer Wunsch. Oft kann man froh sein, wenn die Unterkunft trocken ist, warm ist schon Luxus. Und darüber, dass die Sicherheit der Unterkunft (insbesondere für Frauen und Kinder) deutlich wichtiger wäre als so manche gut gemeinte “Willkommens-Aktion”, sollten wir dringend reden. Auch darüber, welche Einflussmöglichkeiten wir als Stadt in den Erstaufnahmestellen des Landes überhaupt haben.
Zu dem, was an einigen Orten in Mannheim Realität ist, kann ich aktuell leider nicht Ja sagen – und wenn wir daran etwas ändern sollen, dann brauchen wir zuallererst mehr Transparenz – nicht nur für die “Aktiven” sondern auch für die Öffentlichkeit.
Wer Ja sagen soll, muss wissen wozu.